Mit (der World-) Markdown aus den Datensilos
Überlegungen zu einem Werkzeug für Bürgerjournalisten, Wissenschaftsnomaden und andere Autoren, die die Kontrolle über ihre (Netz-) Publikationen behalten möchten
Über mich …
(Photo: Norbert Spitzer)
Jörg Kantel
Jörg Kantel, Jahrgang 1953, studierte Mathematik, Informatik und Philosophie. Er ist seit 1994 EDV-Leiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG) in Berlin.
Von 2006 bis 2009 war er außerdem Lehrbeauftragter für Multimedia im Fachbereich »Angewandte Informatik« an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW).
Im August 2011 wurde Jörg Kantel von der Redaktion der Computerwoche zu den 100 bedeutendsten Persönlichkeiten der IT gewählt.
Seit dem 24. April 2000 schreibt er das Internet voll gibt er außerdem das Weblog »Der Schockwellenreiter« heraus und ist damit vermutlich der »dienstälteste« noch aktive deutschsprachige Blogger.
Autor diverser Bücher und Aufsätze zum Web 2.0.
Und jetzt noch ein wenig human touch: Jörg Kantel ist seit Jahren begeisterter Hundesportler, der zur Zeit seinen Sheltie »Joey vom Zillegarten« in Agility und Obedience ausbildet (seien sie froh, daß noch keine Turniervideos existieren).
Motivation
»The web is a writing environment.« (Dave Winer)
Das sah übrigens Tim Berners Lee auch schon so.
Der »Bürgerjournalist«
Die Legende vom Bürgerjournalismus
- Bürgerjournalismus ist nur dann »Bürgerjournalismus«, wenn der publizierende Bürger im Besitz (nicht unbedingt Eigentum) der Produktionsmittel ist, d.h. wenn er marxistisch gesprochen seinen Produktionsmitteln nicht entfremdet ist. Alles andere ist Moppelkotze. Oder …
- Die Freiheit der Presse gehört denen, die eine besitzen. (A.J. Liebling)
Datensilos
Was sind Datensilos? (Dave Winer)
- Soziale Netze: Facebook, Twitter, Flickr, YouTube …
- Institutionelle Sammlungen: Echo, VLP …
- … aber auch Wikis, Weblogs! (vgl. WordPress als Datensilo)
- Datenbanken!
- Fehlende Nachhaltigkeit (Konkurs des Anbieters, Software wird aufgekündigt, Schließen des Dienstes, diaspora!!)
Flickr zensiert …
Diese beiden Bilder dürfen bei flickr nicht gezeigt werden.
Diese beiden auch nicht … (Sie mußten auf »moderat« gesetzt werden)
Facebook auch!
Und dieses Bild mochte Facebook überhaupt nicht.
Inquisition
Der Wissenschaftsnomade
Das Problem:
- Die Dienstleistungen der Institutionen stehen dem Wissenschaftler in der Regel nur während seines (meist kurzen) Aufenthalts an einer wissenschaftlichen Institution zur Verfügung.
- Danach hat er u.U. sogar massive Schwierigkeiten, auf seine während seines Aufenthaltes angelegten Daten zuzugreifen (auch die Rechenzentren der wissenschaftlichen Institutionen können »Datensilos« sein).
Die Folge:
- Die Bereitschaft sinkt, sich an (Groß-) Projekten zu beteiligen, stattdessen legt er seine Sammlungen und Repositorien lieber außerhalb an, wo er hofft, daß er »lebenslangen« Zugriff auf seine Daten und Sammlungen hat
- Und landet ebenfalls in den Datensilos …
(Edition) Open Access
Die Edition Open Access:
- Creative Commons: (BY-NC-SA)
- Bücher mit Print on Demand (Epubli)
- Komplett als HTML (mit erweiterten Funktionen)
- Kostenloser Download von PDF und Epub
(Edition) Open Access (2)
(Edition) Open Access (3)
(EOA-) LaTeX als »kanonisches« Format. Die Folgen:
- Die Produktion ist sehr »printzentriert«
- Die zusätzlichen Möglichkeiten von HTML(5) und Epub wurden nachträglich aufgepfropft
Für eine geisteswissenschaftliche Publikation zum heutigen Zeitpunkt okay, aber nicht wirklich zukunftssicher. Daher die Idee …
Digital Scrapbooks
… eines digitalen Kritzelbuches:
(Vierteljahres-) Zeitschrift
- Ein »Redaktionstagebuch« sammelt die Beiträge ein
- Sie werden sofort nach dem Eintreffen veröffentlicht
- Jedes Vierteljahr wird via Print on Demand die aktuelle Nummer herausgeschrieben
- Eine Epub-/Mobi-Version gibt es natürlich auch
- Für beide kann man natürlich Geld verlangen
Designprinzipien
- KISS: Keep It Simple and Stupid, aber …
- Man soll die Dinge so einfach machen wie möglich - aber nicht einfacher. (Albert Einstein)
- Das »Know How« soll beim Wissenschaftler (Journalisten, Autoren etc.) bleiben und nicht in die IT-Abteilungen abwandern. (Vgl.: Lernt programmieren, sonst werdet Ihr programmiert)
Strategie
- Daten bleiben beim Nutzer
- Daten liegen in einem standardisierten Format vor
- Der Nutzer entscheidet, wohin er seine Daten (als Kopien) verteilt
- Was der jeweilige Server mit den Daten anstellt, bleibt ihm überlassen (Layout)
Behind the Frontier
Auf den Schultern [von|eines] Riesen:
Dave Winers Flucht aus den Datensilos.
World Outline
- OPML Editor als (Web-) Server auf dem Desktop
- Die Daten werden sowohl lokal gespeichert als auch als OPML-Dateien nach Amazon S3 hochgeladen
- Andere OMPL Editoren können auf diese Daten (nach Freigabe/Bekanntgabe der URL) zugreifen
- Das können sowohl lokale Server als auch Server z.B. auf Amazon EC2 sein (EC2 for Poets)
- Synchronisierung mit der Dropbox.
River of News
River of News und Radio2
River2:
- Twitter »für Arme«
- RSS-Reader, der einen »Nachrichtenfluß« erzeugt
- »Retweet«-Button
- Teil des OPML Editors
- Funktioniert Peer to Peer sowohl auf dem Desktop als auch auf einem Server
Radio2
Radio2:
- Eine (minimalistische) Reinkarnation des legendären Radio Userland
- Schreibt »nur« noch RSS heraus
- Geschaffen, um Software wie River2 zu »füttern«
- Kann auch zum Verteilen von Podcasts genutzt werden
Threads
Fazit 1
Mit Threads und River2 ist die World Outline
- Eine Art Peer-to-Peer-Facebook
- mit einem Twitter-ähnlichen Nachrichtenfluß
- und einer Art Labortagebuch
Kommentare via Disqus (ist inkonsistent, ich weiß – könnte man hier noch auf dem Server (OPML Editor) erledigen, aber für statische Seiten (kommt später) sehe ich keine Alternative)
Das Konzept ist genial, aber …
- Die Software ist etwas in die Jahre gekommen (kein UTF-8)
- Es gibt kaum (andere) Server, die OPML-Dateien erstellen oder verarbeiten
- Mich störte der »Community«-Server in der Mitte, der einen one point of failure darstellt und das Szenario auch anfällig gegen politische Restriktionen macht.
Scenario 2: World Markdown
Mein Fluchtplan: Mit Markdown aus den Datensilos.
World Markdown (1)
Markdown
Markdown ist eine einfache Auszeichnungssprache, für die es Tools gibt, die sie sowohl nach HTML (Website, Ebook) als auch nach LaTeX herausschreiben.
World Markdown (2)
- Markdown-Dateien werden im Texteditor erstellt (in meinem Fall mit TextMate)
- Eine Template-Engine (RubyFrontier) generiert daraus statische HTML-Seiten.
- Diese werden zusammen mit den Markdown-Dateien auf einem Server der Wahl abgelegt (in meinem Fall auf Amazon S3).
- Synchronisierung mit der Dropbox.
- Realisiert mit RubyFrontier und Twitter Bootstrap.
World Markdown (3)
World Markdown (4)
- Die Text-, Photo- und Videoeingabe kann von überall erfolgen, auch über ein Smartphone, denn …
- die sogenannte »Facebook-Revolution« war keine »Facebook-Revolution«, sondern eine »Handy-Revolution«.
- World Markdown: Die Markdown (Quell-) Dateien liegen zum Abruf ebenfalls im Netz (in meinem Fall auf Github).
- Jeder ist aufgefordert, sie herunterzuladen und weiterzunutzen.
Node Types
- Verschiedene Node Types (Threads, Blogpost etc.) werden durch unterschiedliche Templates realisiert.
- Bisher implementiert: Threads, Blogpost, Photo, Essays (Worknotes), Galerie
- Mögliche Erweiterungen: Slides, Video, Maps, Charts (für all die schönen HTML5-Spielereien, ohne die der »Datenjournalismus« (angeblich) nicht auskommt), Timeline etc.
Threads
Worknotes
Photo
Galerie
Die Navigation unter den Photos wird automatisch erzeugt und es gibt eine Version mit »Metadaten« für wissenschaftliche Arbeit.
Alternativen
- Jekyll: Ebenfalls Markdown, aber in meinem Augen zu »bloggish«
- nanoc ist ein weiterer in Ruby geschriebenes Tool, das mit Markdown umgehen kann und statische Seiten herausschreibt. Sehr vielversprechend, aber der Bedienungskomfort ist noch verbesserungsfähig (Terminal).
- Emacs Org-mode: Lange Zeit mein Favorit, aber leider nicht »Geisteswissenschaftler kompatibel«
Pros und Cons
- Einfache Erstellung (+)
- Sehr flexibel und erweiterbar (+)
- RSS-Feeds müssen (noch) mühselig von Hand erstellt werden (aber wir arbeiten daran) (-)
- Aus historischen Gründen ist das Markdown von RubyFrontier (noch) nicht überall »standard-konform« (aber wir arbeiten daran) (-)
- Zur Zeit läuft RubyFrontier nur unter MacOS X mit TextMate (aber …) (-)
Zurück in die Zukunft
- Github ist ebenfalls ein hervorragendes Publishing-Tool für Markdown-Dateien (erspart einem unter Umständen den »eigenen« Server)
- Erweiterung für (HTML5-) Videos (denn das Netz ist multimedial)
- Markdown, Fußnoten, Tabellen und mathematische Formeln (die Frage nach den Supersets)
- Kommentare via Disqus (bei Threads -- ist immer noch inkonsistent, aber da es hier um statische Seiten geht, sehe ich wirklich keine andere Alternative, als die Kommentare »zuzukaufen«)
Let's Do It
Fassen wir zusammen:
- Ziel ist der Entwurf und die Implementierung eines Arbeitsumgebung für Webworker (Journalisten, Autoren, Wissenschaftler), die den Nutzer nicht entmündigt.
- Er bleibt Herr seiner Daten
- Er entscheidet, wer auf seine Daten zugreifen darf und mit wem er diese diskutiert
- Die Nutzung ist so einfach wie möglich
- Die Nutzung kostet so wenig wie möglich
In der besten aller Welten …
Da wir (leider) nicht in der besten aller Welten leben:
- Als kostengünstige Datenablage sind Cloud-Anbieter wie Amazons S3, Dropbox, Github etc. unproblematisch, da die Daten immer noch einmal beim Nutzer bleiben (das befreit von teuren ISPs)
- Auch im Falle politischer Repressionen (Zensur, Wikileaks) ist es einfach, die Daten auf einem anderen Server (Island) zu transferieren und erneut zu publizieren
Wissenschaftsnomaden
- Auch sie behalten ihre Daten und Ergebnisse unter ihrem Einfluß und können sie trotzdem anderen Instituten zur Publikation zur Verfügung stellen.
- Sie bekommen ein Werkzeug zur Verfügung gestellt, daß sie von den Datensilos der Wissenschaftsorganisationen befreit.
Der Stand der Dinge
- Ein Prototyp der World Markdown kann auf Github heruntergeladen werden.
- In den nächsten Wochen wird es eine Dokumentation dazu geben.
- Ausführliche Test für Markdown -> LaTeX -> PDF und Markdown -> Epub/Mobi sind in Vorbereitung.
- Mein Weblog wird seit Anfang Oktober 2012 mit einer angepaßten Version der World Markdown geführt.